Germanistique – Alma & Georges /alma-georges Le magazine web de l'Université de Fribourg Fri, 14 Feb 2025 16:18:31 +0000 fr-FR hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.3.5 Mit Familiengeschichten gegen das Narrativ vom heroischen Widerstand /alma-georges/articles/2025/mit-familiengeschichten-gegen-das-narrativ-vom-heroischen-widerstand /alma-georges/articles/2025/mit-familiengeschichten-gegen-das-narrativ-vom-heroischen-widerstand#respond Fri, 14 Feb 2025 16:18:31 +0000 /alma-georges?p=21995 Erinnerungskulturelle Familienromane sind ein gutes Medium, um gesellschaftliche und historische Themen zu vermitteln. Germanistin Emily Eder zeigt in ihrem Buch auf, welches Bild von der Schweiz im Zweiten Weltkrieg in der zeitgenössischen Deutschschweizer Literatur gezeichnet wird.

«Es wird hinterfragt, infrage gestellt. Kann das wirklich so gewesen sein? Wie kann es sein, dass die offizielle Darstellung nicht mit dem übereinstimmt, was sie erlebt haben?» So beschreibt Emily Eder die Herangehensweise der drei Autoren Christoph Geiser, Thomas Hürlimann und Urs Widmer, deren Werke sie für ihre Dissertation analysiert hat. Sie setzte sich mit der Frage auseinander, wie in erinnerungskulturellen Familienromanen die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg dargestellt wird.

«In Deutschland und in Österreich ist das ein grosses Forschungsfeld. Viele Autor_innen haben über das geschrieben, was sie an Unterlagen bei ihren Eltern und Grosseltern auf dem Dachboden gefunden haben. Es gibt daher sehr oft einen autobiografischen Bezug. Das hat mich neugierig gemacht zu schauen, wie es in der Schweiz aussieht», erklärt die in Köln aufgewachsene Eder, wie sie auf die Idee für das Thema kam. Denn die Schweiz stellte im Kontext dieser Forschung einen blinden Fleck dar. «Also habe ich angefangen, viel zu lesen und dabei festgestellt, dass der Zweite Weltkrieg auch in der Deutschschweizer Literatur ein Thema ist. Es ist letztendlich nicht überraschend, denn weder die Schweiz noch ihre Literatur sind losgelöst vom europäischen Kontext.»

Besonders interessant sind Geiser, Hürlimann und Widmer vor dem Hintergrund, dass ihre Werke mehrheitlich in die Zeit fallen, in der das Narrativ vom heroischen Widerstand, das die offizielle Schweiz lange Zeit aufrechterhielt, zu bröckeln begann. Eine Zeit, in der die 1996 vom Bundesrat eingesetzte «Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg» genauer hinschaute.

Kritik in verschiedenen Formen
Welches Bild der Schweiz zeichnen Geiser, Hürlimann und Widmer? «Kein einheitliches. Aber alle hinterfragen auf ihre eigene Art, in ihrem spezifischen Kontext, das Narrativ vom heroischen Widerstand.». Urs Widmer etwa beschreibt im 2004 erschienenen Roman «Das Buch des Vaters» aus der Perspektive eines Kindes ­– es handelt sich dabei um ihn selbst als kleinen Jungen –, wie sein Vater eingezogen wurde und wie er die Réduit-Strategie wahrgenommen hat. «Es ist alles literarisiert und fiktionalisiert, entsprechend schwierig ist zu beurteilen, wie weit sich die geschilderte Szene wirklich so abgespielt hat», sagt Eder. «Aber die Kritik wird in einer besonders eindrucksvollen Passage deutlich, weil nicht klar wird, ob der erzählende Sohn die Gedanken des Vaters wiedergibt oder ob er selbst diese kommentiert. Beide Lesarten sind möglich. Er stellt sinngemäss die Fragen: Wie hätten die Soldaten im Réduit die Schweiz verteidigen können? Und was sollte dann mit allen anderen Personen in der Schweiz geschehen?»

Thomas Hürlimann, der selbst entfernt jüdische Vorfahren hat, zeigt seinerseits wiederholt auf, wie jüdisches Leben in der Schweiz aussah. Etwa im 2006 erschienen Roman «Vierzig Rosen». «Dort gibt es das Tagebuch der Mutterfigur, das zumindest an das Tagebuch von Anne Frank erinnert, wenn nicht daran angelehnt ist. Es wird dargestellt, dass jüdische Menschen von der Schweizer Bevölkerung teilweise feindlich behandelt wurden.»

Christoph Geiser wiederum setzt sich in erster Linie kritisch mit der bürgerlichen Schicht auseinander. «Wichtiger Bezugspunkt ist sein Grossvater Hans Frölicher, der während des Zweiten Weltkriegs Diplomat in Berlin war und von der offiziellen Schweiz später als Sündenbock dargestellt wurde, weil er die Schweiz aus eigenem Antrieb zu deutschlandfreundlich vertreten habe. Vereinfacht müsste man rückblickend sagen, ihn als Sündenbock zu instrumentalisieren ist sicher nicht richtig, ein vorbildlicher Diplomat war er jedoch auch nicht.» Geiser kannte seinen Grossvater, und auch die Dokumente, die er von seiner Mutter erhielt, zeichneten ein differenziertes Bild. «Das ist etwas, was alle drei Autoren machen: Sie stellen dem historischen Ganzen ein Privatleben gegenüber, geben Einblicke in Alltagssituationen. Sie ergänzen somit die historische Perspektive.»

Der Familienroman hat mehrere Stärken
Das ist für Emily Eder genau die Stärke des Familienromans, wenn es um die Vermittlung relevanter gesellschaftlicher und historischer Themen geht. «Wir alle stecken in einem familiären Beziehungsgeflecht. Entsprechend haben wir Anhaltspunkte, um an das anzuknüpfen, was uns literarisch vermittelt wird. Dadurch können wir diese Fragen womöglich innerhalb unserer eigenen Familie stellen – bei mir war das der Fall», sagt Eder. «In der Familie kann über verschiedene Generationen Erlebtes weitergegeben werden ­– oder eben gerade nicht. Es kann Tabus geben, fehlende Kommunikation, sodass wir erst nach dem Tod der Eltern oder Grosseltern merken, warum Beziehungen dysfunktional waren. Deshalb sind die Familienromane, gerade wenn sie einen autobiografischen Gehalt haben, sehr aufschlussreich.»

Die drei Autoren nehmen stellenweise die Perspektive ihrer Eltern ein, versuchen, sich in sie hineinzuversetzen, zeigen oft aber auch Generationenkonflikte auf. «Das ist das Potenzial von Literatur. Sie ist ein Medium, das uns erlaubt, etwas über andere Menschen zu lernen. Darüber, was es heisst, überhaupt Mensch zu sein, weil wir in die Gedanken von anderen Menschen schlüpfen können. Aber auch, um in der Zeit zurückzugehen und Einblicke in andere politische Systeme und historische Momente zu erhalten. Das können andere Medien zwar auch, aber über die Literatur verläuft die Auseinandersetzung viel langsamer und persönlicher.»

Der Einfluss von Literatur als Spiegel der Gesellschaft
Wie gross also ist der Einfluss von Literatur auf die Wahrnehmung eines bestimmten Themas in der Gesellschaft? Auf die Geschichtsschreibung oder Geschichtsumschreibung? «Das hängt immer auch davon ab, wie und von wem die Literatur rezipiert wird. Meiner Ansicht nach könnte der Einfluss grösser sein – aber das scheint eine der Herausforderungen der Geisteswissenschaften zu sein.» Emily Eder will ihren Teil dazu beitragen, den gesellschaftlichen Dialog durch Literatur und die Forschung darüber anzukurbeln. Auch deshalb hat sie die Möglichkeit genutzt, ihre Dissertation mit SNF-Geldern als Buch zu publizieren. Nicht ohne Stolz hat sie es vor kurzem in einer grossen Buchhandlung in Bern entdeckt. «Es wird kein Bestseller werden, die meisten Leute lesen vor dem Einschlafen keine Dissertationen», sagt Emily Eder mit einem Schmunzeln. «Aber vielleicht kann ich ein wenig Neugier wecken, womöglich liest jemand Bücher dieser Autoren plötzlich mit einer anderen Brille und macht sich zusätzliche Gedanken. Das wäre bereits ein Gewinn.»

Dr. Emily Eder hat Germanistik, französische Sprache und Literatur sowie Komparatistik an den Universitäten Freiburg und Köln studiert. Heute arbeitet sie als Studiengangskoordinatorin und pädagogische Beraterin in der Abteilung Medizin an der Universität Freiburg. Literatur nimmt in ihrem Leben immer noch einen wichtigen Platz ein, man trifft sie beispielsweise beim Literaturprogramm im Kino Korso.

Das 232-seitige Buch «Der Zweite Weltkrieg in der Deutschschweizer Literatur – Erinnerungskulturelle Familienromane von Christoph Geiser, Thomas Hürlimann und Urs Widmer» ist 2024 im Chronos Verlag erschienen.

__________

  • E-Book (pdf) kostenlos

 

]]>
/alma-georges/articles/2025/mit-familiengeschichten-gegen-das-narrativ-vom-heroischen-widerstand/feed 0
Geisteswissenschaften in der Krise? /alma-georges/articles/2024/geisteswissenschaften-in-der-krise /alma-georges/articles/2024/geisteswissenschaften-in-der-krise#respond Mon, 21 Oct 2024 11:42:51 +0000 /alma-georges?p=21101

Stecken die Geisteswissenschaften in einer Krise? Diese Frage stand im Zentrum der diesjährigen «Diachronie», einer epochenübergreifenden Veranstaltung der Departemente Geschichte und Zeitgeschichte der Unifr. Am 17. Oktober versammelten sich im Espace Güggi Wissenschaftler_innen, Studierende und Interessierte, um die aktuellen Herausforderungen der Geisteswissenschaften zu diskutieren. In diesem Rahmen führte die Alma&Georges-Redaktion ein Interview mit der Organisatorin Anne Huijbers.

Eindrücke aus der «Diachronie» 2024

Die Geisteswissenschaften stehen vor erheblichen Herausforderungen: Die Studierendenzahlen sinken, und es herrscht der Ruf, die Disziplin sei brotlos und in der Gesellschaft zunehmend irrelevant. Vorträge von Dominique Lysser, Olivier Richard und Salome Walz beleuchteten während der diesjährigen «Diachronie»-Konferenz die verschiedenen Aspekte dieser ‘Krise’.

Eine mögliche Antwort auf diese Entwicklungen könnte – so Dominique Lysser – innovative Wissenschaftskommunikation sein. Projekte wie Geschichte im Puls zielen darauf ab, Geschichte auf populärwissenschaftlicher Ebene zu vermitteln. Mit einem Fokus auf junge Menschen wird versucht, das Fach neu zu positionieren. «Wenn die Jugendlichen nicht ins Museum gehen, geht die Geschichte zu den Jugendlichen» – unter diesem Motto führt der Verein u. a. Veranstaltungen wie «Geschichte im Puls goes Clubbing».

Salome Walz plädierte für eine Anpassung der Geisteswissenschaften an die Moderne. Ihre Analyse von M. I. Finleys Crisis in the Humanities aus den 1960er Jahren zeigt, dass die aktuelle Lage nicht völlig neu ist. Das Ende des Lateinobligatoriums in Cambridge und Oxford zum Beispiel symbolisierte damals einen tiefgreifenden Wandel und den Vertrauensverlust in die Legitimität der geisteswissenschaftlichen Bildung. Die Frage, wie viel Geisteswissenschaft die Gesellschaft braucht, bleibt so aktuell wie eh und je.

Olivier Richard hingegen betrachtete das Mittelalter als Schlüssel zur Selbstreflexion unserer Gesellschaft. Er betonte, dass indem die Mediävistik uns lehrt, die Gegenwart im Licht historischer Prozesse zu sehen,  sie entscheidend dazu beiträgt, gesellschaftliche und politische Phänomene besser zu verstehen.

Diese verschiedenen Ansätze zeigen, wie komplex die sogenannte « Krise » der Geisteswissenschaften tatsächlich ist. Im Interview geht Anne Huijbers auf einige dieser Herausforderungen näher ein.

Interview

Anne Huijbers, wenn sich immer weniger Studierende für Geschichte und Germanistik interessieren, liegt das Problem an den Fächern selbst?
Es gibt verschiedene Erklärungen. In unsichere Zeiten wählen Studierende tendenziell Fächer mit klarem Berufsprofil und einer direkten ökonomischen Verwertbarkeit. Geschichte oder Germanistik haben den Ruf «brotlose» Fächer zu sein. Das ist nicht so, aber es ist undeutlicher, welche Wege die Absolvent_innen gehen. Tatsächlich sind Geisteswissenschaftler_innen breit einsetzbar.

Es wird spekuliert, ob die «Tiktokisierung» der jüngeren Generation und der Rückzug der Buchkultur eine Rolle spielt. Lesefähigkeiten verschlechtern sich. Und dann haben wir noch nicht über KI geredet: warum muss man schreiben lernen, wenn KI das für dich fehlerfrei erledigt?

Wie viel Aktivismus verträgt die Wissenschaft? Hat die Forschung ihre Neutralität verloren?
In geisteswissenschaftlichen Disziplinen geht es darum zu verstehen, zu interpretieren, Perspektiven zu wechseln, kritisch zu hinterfragen. Totale Objektivität ist für Geisteswissenschaftler_innen eine Illusion. Schon nur durch die Wahl eines Forschungsthemas sind wir politisch und aktivistisch. Unsere Fragen kommen immer aus der Gegenwart. Deshalb beschäftigen Geisteswissenschaftler_innen sich heute vermehrt mit weiblichen und globalen Perspektiven, non-binären Identitäten, Klima, Ökologie oder Kolonialismus. Ist das, weil wir woke und links sind – wie Kritiker_innen behaupten? Oder weil die Gesellschaft das Bedürfnis hat, darüber zu reflektieren?

Anne Huijbers hat die Veranstaltung mitorganisiert.

Können Geisteswissenschaften heute überhaupt noch ohne politische Agenda auskommen?
Es besteht ein Paradox. Einerseits lesen wir in Medienbeiträgen, dass Geisteswissenschaftler_innen zu wenig in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir «apolitisch» geworden sind. Durch Spezialisierung und Internationalisierung sollten wir uns zu sehr in den Elfenbeinturm zurückgezogen und damit unsere gesellschaftliche Relevanz verloren haben. Gleichzeitig werden wir beschuldigt, politisch und tendenziös zu sein. Die gesellschaftlichen Erwartungen an Geisteswissenschaftler_innen sind ambivalent.

Warum ist das öffentliche Interesse an Geschichte gross, aber die Uni-Seminare bleiben leer?
Schweizweit laufen die Studierendenzahlen seit zehn Jahren zurück, aber an unsere Universität sind sie, zumindest am Departement für Geschichte, stabil geblieben. Das Verhältnis zwischen deutsch- und französischsprachigen Studierenden hat sich aber geändert. 2006 gab es noch ebenso viele deutsch- wie französischsprachige Geschichtsstudierende. Jetzt sind es nur noch 120 deutsch- gegenüber 353 französischsprachige. Wenn wir Werbung machen müssen, dann für die Möglichkeit, das Studium hier auf Deutsch zu absolvieren!

Ist die « Krise » nur ein Symptom struktureller Mängel – schlechte Finanzierung, wenig Perspektiven?
Ein Positionspapier der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften betonte schon 2012, dass die Geisteswissenschaften im zunehmend kompetitiv ausgerichteten Wissenschaftssystem strukturell benachteiligt werden. In der Konkurrenz um knappe Mittel verlieren die Geisteswissenschaften gegenüber Natur-, Medizin- und Technikwissenschaften. Die SNF fordert Daten – das wirkt auf viele Geisteswissenschaftler_innen einschüchternd. Die Geisteswissenschaften funktionieren anders. Eine direkte Verwertbarkeit oder ein sichtbarer, gesellschaftlicher Impact ist schwieriger zu bezeugen.

Krisendiskurse haben die Geisteswissenschaften immer begleitet. Verschwinden werden wir aber nie. Was könnten wir selbst tun? Das Studium ist auf eine wissenschaftliche Karriere ausgerichtet, obwohl die allermeisten Absolvent_innen einen anderen Weg einschlagen. Dem könnten wir vielleicht besser Rechnung tragen.

Für die MINT-Fächer wurde in den letzten Jahren viel Werbung gemacht, mit der Folge, dass die Studierendenzahlen angestiegen sind. Vielleicht müssten die Geisteswissenschaften das auch tun. Man könnte das Geschichtsstudium umbenennen in «Medienkompetenz und Fact-Checking». Das brauchen wir heute mehr denn je.

__________

  • der SAGW
  • ¸é²¹»å¾±´Ç²õ±ð²Ô»å³Ü²Ô²µÌý

 

]]>
/alma-georges/articles/2024/geisteswissenschaften-in-der-krise/feed 0
«Ich schreibe jeden Tag – ausser an Weihnachten» /alma-georges/articles/2022/ich-schreibe-jeden-tag-ausser-an-weihnachten /alma-georges/articles/2022/ich-schreibe-jeden-tag-ausser-an-weihnachten#respond Fri, 18 Nov 2022 11:31:41 +0000 /alma-georges?p=16871 Sie ist eine Koryphäe der deutschen Linguistik, Konrad-Duden-Preisträgerin und begeisterte Uni-Hopperin: Nun beehrt Prof. Dr. Christa Dürscheid auch die Unifr mit einem Besuch.

Christa Dürscheid ist Professorin für Deutsche Sprache am Deutschen Seminar der Universität Zürich und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

 

Christa Dürscheid, Sie werden am 1. Dezember 2022 einen Gastvortrag halten mit dem Titel «Das Deutsche und seine Grammatik(en)». Warum setzen Sie «Grammatik» in den Plural?
Im Vortrag werde ich zunächst zeigen, dass es eine Grammatik der gesprochenen Sprache und eine Grammatik der geschriebenen Sprache gibt. Typisch gesprochensprachliche Phänomene sind etwa Konstruktionsabbrüche, Formulierungen wie dem Otto seine Operation oder Verbzweitsätze vom Typ weil ich hab keine Zeit. Einige dieser Phänomene resultieren daraus, dass die Formulierungen erst im Äusserungsprozess selbst, gewissermassen online entstehen. Danach gehe ich auf eine andere Art von Variation in der Grammatik ein. Diese ist regional bedingt. Schauen wir uns z. B. Zeitungstexte aus Berlin, Wien oder Bern an, sehen wir, dass es hier nicht nur Unterschiede in der Lexik, sondern auch auf grammatischer Ebene gibt. Diese betreffen beispielsweise Wortstellungsmuster, die in einem Land vollkommen unauffällig sind, im anderen Land aber markiert. Ich denke da an Abfolgen wie Das Eis ist dick genug vs. Das Eis ist genug dick.

In der Vorlesungsreihe wird das Thema «Sprachnormen» behandelt. Was muss mensch sich darunter vorstellen?
Normen sind Erwartungen, die wir an den Sprachgebrauch herantragen. Sie betreffen alle sprachlichen Ebenen, reichen also von der Rechtschreibung und Aussprache über die Grammatik bis hin zur Textgestaltung und zum Gesprächsverhalten. Diese Erwartungen können unausgesprochen bleiben, aber dennoch als selbstverständlich vorausgesetzt werden, sie können ihre Verbindlichkeit aber auch dadurch erhalten, dass sie schriftlich fixiert sind (z. B. in Wörterbüchern und Grammatiken). Was die Rechtschreibung betrifft, so ist diese im Deutschen sogar kodifiziert, hier gibt es eine Amtliche Regelung, die festlegt, was richtig und was falsch ist. Auch die Normaussagen in anderen Nachschlagewerken lassen sich präskriptiv, d.h. als Handlungsanweisungen mit Verpflichtungscharakter lesen, sie können aber, anders als das Rechtschreibregelwerk, auch deskriptiv aufgefasst werden – in dem Sinne, dass sie den Sprachgebrauch im Standarddeutschen beschreiben, nicht vorschreiben wollen. In der Linguistik wird weiter auch immer wieder betont, dass es pragmatische Normen gibt. So gelten für das Verfassen eines Kommentars in einer Online-Zeitung andere Normen als für das Formulieren eines Bewerbungsschreibens. Das betrifft auch die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache. In einem Gespräch wird man wohl nicht die Erwartung haben, dass die anderen in ganzen Sätzen antworten müssen.

Die meisten denken bei Sprachnormen wohl ans «Gendern». Das Thema wird auch unter Sprachwissenschaftler_innen immer beliebter. Haben Sie jemals daran gedacht, selbst über gendersensible Sprache zu forschen?
Daran gedacht habe ich schon, ich habe mich aber dagegen entschieden. Meine Forschungsinteressen liegen in anderen Bereichen, in der Grammatik, der Variationslinguistik, der Medienlinguistik, der Schriftlinguistik und der Sprachdidaktik. Arbeiten zum gendersensiblen Sprachgebrauch betreue ich am Deutschen Seminar gerne und ich spreche das Thema auch immer wieder in meinen Lehrveranstaltungen an. Es ist aber kein Thema, das mich so umtreibt, als dass ich darüber forschen wollte.

Sie haben letztes Jahr «Wie sagt man wo?» (siehe Infobox) im Duden-Verlag veröffentlicht. Dürfen wir uns auf weitere Werke dieser Art freuen?
«Wie sagt man wo?» basiert auf Texten, die ich auf Twitter unter dem Namen @VariantenGra verfasst habe. Ich habe sie für das Buch nach regionalen Aspekten ausgewählt. Vom Verlag wurden einige der Texte auch sehr schön illustriert; die Fotos, die ich dazu jeweils auf Twitter gepostet hatte, wurden aber nicht übernommen. Nun möchte ich gerne ein Buch mit dem Titel «365 Tweets zur deutschen Sprache» veröffentlichen – mit neuen Texten, unter Bezugnahme auf ganz verschiedene sprachliche Phänomene und nach Möglichkeit auch mit meinen Fotos, die das Ganze so authentisch machen. Ich habe dazu gerade einen Verlag angefragt.

Warum hat sich das Eszett (ß) in der Schweiz bisher nicht durchgesetzt?
In der Amtlichen Regelung für deutsche Rechtschreibung ist eigens vermerkt, dass man in der Schweiz und in Liechtenstein immer mit Doppel-s schreiben kann. Es besteht also gar keine Notwendigkeit, auf das Eszett umzustellen; die Schreibweise ist auch so rechtschreibkonform. Und da wir in der Schweiz Tastaturen haben, mit denen in allen Sprachregionen gearbeitet werden kann, musste man Kompromisse machen. So sieht die Schweizer Tastaturbelegung Tasten für die Akzentschreibungen é, à und è vor, aber keine separate Tastaturbelegung für das Eszett und auch nicht für die relativ selten gebrauchten Grossbuchstaben Ä, Ö und Ü. Würde sich das Eszett in der Schweiz durchsetzen, dann müsste man also die Tastatur umstellen. Und welches Zeichen sollte dafür weichen? Genug Platz für alle ist nicht.

Sie kommen ursprünglich aus Deutschland. Welche Helvetismen haben Sie mittlerweile ins Herz geschlossen und eventuell schon in den eigenen Sprachgebrauch eingebaut?
Es gibt schweizerische Varianten, die ich verwende, ohne es zu merken, z.B. Entscheid, Beschrieb, Unterbruch, parkieren. Dann habe ich auch den Wortakzent übernommen, betone also Abkürzungen wie USA und SMS nun auf der ersten Silbe. Auch das geschieht schon unbewusst. Daneben gibt es einige Ausdrucksweisen, deren Gebrauch ich regelrecht inszeniere – einfach, weil ich so froh bin, dass ich sie nun habe und es umständlich fände, das anders zu formulieren. Dazu gehören Wörter wie parat, ²¹±ô±ô´Úä±ô±ô¾±²µ und traktandieren.

Wie Ihrem Twitter-Profil zu entnehmen ist, sind Sie begeisterte Uni-Hopperin. Waren Sie schon immer so häufig unterwegs? Oder hat der erhaltene Konrad-Duden-Preis Ihren Alltag beeinflusst?
Ich war immer schon gerne auf Reisen – sowohl privat, wo ich z. B. bis zu den Osterinseln gekommen bin, als auch als Gastdozentin an ausländischen Universitäten wie z.B. in Nanjing oder in Budapest. Dazu kommen die vielen Konferenzen in meinem Fach. An diesen nehme ich immer wieder gerne teil – auch weil ich dort geschätzte Kolleginnen und Kollegen treffe. Durch den Duden-Preis ist das nicht noch mehr geworden; es hat sich in den letzten Monaten einfach so ergeben, dass ich an verschiedenen Universitäten war.

Ihnen gehört auch das Twitter-Profil «Variantengrammatik». Wie erklären Sie sich diese Begeisterung für das Thema? Schliesslich haben Sie aktuell über 6900 Follower!
Sprachthemen interessieren immer, das sieht man ja auch an den vielen populären Titeln, die dazu auf dem Markt sind. Auf Twitter präsentiere ich diese Themen als leichte Kost, zum Nachdenken anregend, linguistisch fundiert, aber nicht belehrend. Die Tweets geben oft Anlass zu Diskussionen; viele haben eine Meinung zu dem jeweiligen Phänomen oder steuern Beispiele aus ihrem eigenen Sprachgebrauch bei. Dazu kommt, dass ich (bisher zumindest) jeden Tag – ausser an Weihnachten – etwas schreibe. Dadurch gibt es eine Kontinuität, der Account wird immer wieder wahrgenommen. Viele Tweets werden auch retweetet oder es wird im Bekanntenkreis darauf hingewiesen, dass man hier interessante Beobachtungen zur deutschen Sprache findet. Und so zieht das Ganze nun immer weitere Kreise.

Sie sind eine erfolgreiche Wissenschaftlerin und für viele Linguist_innen ein Role Model. Welche Tipps geben Sie jungen Menschen, die in Ihre Fussstapfen treten wollen?
Wichtig ist, dass man schon als Studentin aus der Anonymität heraustritt, dass man das Gespräch mit Dozierenden sucht, sich an den Seminardiskussionen beteiligt, zu Tagungen geht, ein Poster einreicht oder einen Vortrag hält. So kommt man in die Community hinein und lernt die Menschen hinter den Publikationen kennen. Ich finde es ausserdem wichtig, immer einen Ausgleich zu haben. So z.B. auch bei Tagungen. Ich verbinde meine vielen Tagungsbesuche z. B. oft mit anderen Aktivitäten, dadurch habe ich nicht das Gefühl, dass ich immer nur arbeite.

Viele wissen, dass man in Berlin eine »Schrippe«, in München eine »Semmel« und in Bern ein »Weggli« kauft. Dass man in der Schweiz »parkiert« und nicht »parkt«, wenn man sein Auto auf einem Parkplatz abstellt, ist vielleicht schon weniger bekannt. Und wann genau man das Wörtchen »halt« verwendet, ob man es nur sagen oder auch schreiben kann und was es eigentlich bedeutet, ist für die meisten wohl eine Frage des Sprachgefühls. Die Autorin sammelt solche sprachlichen Besonderheiten und Entwicklungen und erklärt kurz und bündig, was dahintersteckt.

Titel: Wie sagt man wo? Erstaunliche Sprachvielfalt von Amrum bis ins Zillertal
Autorin: Christa Dürscheid
Verlag: Duden-Verlag
Seiten: 144
Richtpreis: sFr. 16.90
Erscheinungsjahr: 2021

 

__________
  • von Christa Dürscheid
  • Christa Dürscheid auf der der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
  • von Christa Dürscheid
  • von Variantengrammatik
  • Webseite der Germanistik @Unifr
  • Gastvortrag
  • zum Event
]]>
/alma-georges/articles/2022/ich-schreibe-jeden-tag-ausser-an-weihnachten/feed 0
«Ich empfinde eine gewisse Zärtlichkeit für die Andersartigkeit» /alma-georges/articles/2016/ich-empfinde-eine-gewisse-zaertlichkeit-fuer-die-andersartigkeit /alma-georges/articles/2016/ich-empfinde-eine-gewisse-zaertlichkeit-fuer-die-andersartigkeit#respond Wed, 13 Jul 2016 06:27:41 +0000 http://www3.unifr.ch/alma-georges/?p=2657 Sabine Haupt setzt sich als Wissenschaftlerin mit Literatur auseinander – gleichzeitig ist sie selbst Schriftstellerin. Ein Gespräch über Grenzverletzungen im Leben und im Schreiben.

Sabine Haupt, Sie sind Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Wie kam es dazu?
Schriftstellerin war mein allererster Berufswunsch. Da war ich fünf, konnte noch gar nicht schreiben, habe mir aber Geschichten ausgedacht. Und meine Mutter tippte sie in ihre uralte, riesengrosse Olivetti-Schreibmaschine. Obwohl ich aus einer kulturell nicht speziell gebildeten Familie komme, scheint dieser Beruf der Schriftstellerin eine frühkindliche Geschichte zu sein.

Zuerst wurden Sie dann aber Literaturwissenschaftlerin.
Ja, neben Theaterwissenschaften habe ich Germanistik studiert. Dann wurde ich schwanger. Wir fanden in München kein Auskommen und sind darum nach Genf gegangen. Dort habe ich mich auf die Germanistik konzentriert. Das waren die langen, langen Jahre, in denen es ums Überleben ging. Ich war jung, hatte ein Baby und einen kranken Mann. Es war eine harte Zeit. Heute staune ich, wie ich aus diesen Schwierigkeiten herausgekommen bin. Eine Frau mit Kind wurde damals viel weniger unterstützt als heute; ein Kind wurde gerade auch im Berufsleben vor allem als Hindernis gesehen. Die Kollegen an der Uni sollten darum gar nicht wissen, wie kompliziert mein Privatleben war.

Seit Sie 2015 mit ihrem Erzählband «Blaue Stunden. Kleine Quadratur der Liebe» als Schriftstellerin an die Öffentlichkeit getreten sind, interessieren Sie vermehrt auch als Privatperson. Wie gehen Sie damit um?
Ich denke, das eine ist, offen zu sein und möglichst ehrlich. Daneben steht aber auch der Wunsch, nicht zu kippen in eine Art von Selbstdarstellung. Viele Autoren stilisieren sich sehr stark, um sich zu verkaufen. Sie machen aus der Notwendigkeit, sich zu äussern, eine Tugend. Ich weiss noch nicht, wie sehr man sich vor diesem Spiel schützen kann. Die völlige Trennung zwischen Privatem und Beruflichem ist nicht möglich. Mein Leben ist ein Labyrinth von Entwicklungen. Erst im Nachhinein kriegt das Ganze eine Kohärenz, die ich in der Situation selber gar nicht sah.

Ihre Vita zeugt von vielseitigen Interessen an Gesellschaft, Kultur und Politik. Sie wuchsen im Deutschland der 1960er und 1970er Jahre auf, «das war die Zeit», ich zitiere aus Ihrer Website, «in der die 68er zum Glück ein paar Schneisen ins Dickicht der Nachkriegszeit schlugen». Wie hat Sie die 68er-Bewegung geprägt?
68, das ist für mich das Jahr, in dem meine Mutter starb. Die politische Dimension spielte also vorerst keine Rolle. Ich habe erst die Nachwirkungen gespürt: Als 15-Jährige war ich das jüngste Mitglied in einem Chile-Unterstützungskomitee. Ebenfalls aktiv war ich in einem Jugendzentrum. Dieses Engagement ist mir geblieben. Jahre später sass ich dann für die Grünen im Genfer Grossrat. Die Politik wäre auf Dauer aber nichts für mich gewesen, dafür war ich zu sensibel und auch zu ungeduldig. Aber in meinem Blog schreibe ich über Literatur und Politik. Das ist heute mein Weg, mich in die Diskussion einzubringen.

Eine Art Diskussionszirkel sind auch Ihre Seminare an der Uni. Sie setzen dabei auf Textkenntnis und die Begeisterung für die Sache. Ihre Studierenden sagen, Sie liessen ihnen Flügel wachsen, statt sie zu stutzen. Entspricht Ihnen dieses Bild?
Ja, auf jeden Fall. Das entspricht meinem Menschenbild generell. Ich lerne von den Studierenden, von ihren Fragen, und erlebe sie als äusserst kritisch und interessiert. Es geht mir ja nie um die Vermittlung von Faktenwissen, sondern immer um das Puzzle der Kultur, das jeder für sich selbst zusammensetzen muss.

Wie reagierte Ihr berufliches Umfeld darauf, dass Sie nun auf einmal als Schriftstellerin auftreten? Ihre Zunft lebt von der nüchternen und objektiven Auseinandersetzung mit Literatur.
Was die Kollegen von der Uni auszeichnet, ist ihre unglaubliche Diskretion. Es fielen mir vor allem viele Nicht-Reaktionen auf. Zum Teil hörte ich von Leuten, denen ich mein Buch geschenkt hatte, gar nichts. Lustig war auch die Verwunderung: Es staunte manch einer, dass ich als positiver Mensch so traurige oder unheimliche Geschichten schreibe. Da sagte ich jeweils: Mensch, es gehört doch zum Kern dessen, was wir den Studierenden vermitteln, dass literarische Texte nicht autobiographisch zu lesen sind! Es gab aber auch viel Lob und Interesse, vor allem auch für meine Lesungen.

Sie scheinen glücklich zu sein über Ihren Erfolg als Schriftstellerin.
Als Schriftstellerin habe ich so viele Freiheiten! Man hat ja nur ein Leben, aber als Autorin kann ich Alternativen durchspielen. Mich fragen, wie es anders hätte laufen können, hätte es nur eine kleine Verschiebung gegeben. Dieses Spiel reizt mich. Es macht mich einfach wahnsinnig glücklich, wenn dann diese andere Welt im Kopf entsteht.

Sitzt Ihnen als Wissenschaftlerin nicht eine Stimme im Nacken, die während des Schreibens gleich mitanalysiert?
Doch, aber ich erlebe das als Vorteil. Ich schreibe ja nicht aus dem Bauch heraus. Künstler stülpen nicht ihr lebendiges Inneres nach aussen und auf ein Blatt Papier, so ist es nicht. Mein Kopf hilft mir, aus den Emotionen Literatur zu machen. Schöne, besondere oder schockierende Sätze zu formulieren.

Was interessiert Sie am Menschen, was wollen Sie an ihm literarisch ergründen?
Mich interessiert die Vielfalt. Ich verkehre in meinem Leben in so unglaublich verschiedenen Kreisen. Ich habe eine Lebenserfahrung der Vielseitigkeit. Es geht mir nicht um ein vordergründiges Respektieren des Anderen. Ich suche immer nach der Grundidee eines Menschen. Es treibt mich nicht nur die Neugier an, sondern auch so etwas wie Empathie. Ich empfinde eine gewisse Zärtlichkeit für die Andersartigkeit.

Ein Motiv in Ihren Texten ist die Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern: Es geht um die intellektuelle, emotionale, sexuelle Annäherung und Entfremdung. Sind Sie eine Feministin?
Ja. Es gibt verschiedene Generationen von Feministinnen. Die erste forderte Gleichberechtigung. Die zweite suchte die Romantisierung der Weiblichkeit. Da ging es darum, anders zu sein als die Männer. Ich habe einen Heidenrespekt vor Alice Schwarzer, aber sie ist auf einem Auge blind. Und da greift nun die dritte Generation, in der Feministinnen einstehen für eine freie Sexualität. Ich stehe mit einem Bein im frühen und mit dem anderen im dritten Feminismus. Wir Frauen haben eine Sexualität, die wir ausleben dürfen und können. Ich gehöre zu einer Frauengeneration, die irrsinniges Glück hatte. Es hat sich viel getan seit 68, aber trotzdem: Eine echte Gleichberechtigung ist immer noch nicht erreicht.

«Die Liebe und der Hunger beginnen mit einer Grenzverletzung.», schreiben Sie in einer Erzählung. Ich habe den Eindruck, dass es in Ihrer «Kleinen Quadratur der Liebe» oft um Grenzverletzungen zwischen den Menschen geht. Stimmt das?
Das freut mich sehr, wenn Sie das so sehen. Das ist nämlich der Link zwischen meinem Denken als Literaturwissenschaftlerin und meinem Denken als Schriftstellerin. In der modernen Kunst geht es immer auch um Grenzerweiterungen. Nach meinem Verständnis ist das der Schlüssel zur Moderne.

Ist durch die Grenzerweiterung auch die Toleranz grösser geworden? In der Kunst und in der Gesellschaft?
Das ist eine schwierige Frage. Es ist schwer, etwas über die Gesellschaft im Allgemeinen zu sagen. Sie driftet im Moment sehr auseinander. Insgesamt ist sie wohl toleranter geworden. Gleichzeitig kommen – etwa im Zusammenhang mit der Asylfrage – Denkmuster wieder auf, die ich für überwunden hielt. Trotzdem glaube ich, dass die momentane Untergangsstimmung übertrieben ist. Ich bleibe optimistisch.

Staunen Sie manchmal über sich selbst?
Ich staune manchmal im Nachhinein, wie ich das damals geschafft habe mit dem Leben: so jung, in einem fremden Land und einer fremden Sprache. Heute bin ich in diesem Leben, das sich wie zufällig aus so vielen Dingen ergeben hat, zuhause. Rückblickend auf die letzten Jahre staune ich auch darüber, was sich alles neu eröffnet hat. Es geht mir momentan ein bisschen so wie mit dem Roman, den ich gerade schreibe: Ich bin an einem Punkt, an dem ich ganz viele Türen aufgemacht habe. Nun muss ich schauen, dass ich einige davon wieder zu kriege.

__________

Sabine Haupt ist 1959 in Giessen (Deutschland) geboren, lebt seit 1980 in der Westschweiz und hat zwei Töchter. Sie ist Titularprofessorin und unterrichtet als Lehr- und Forschungsrätin (MER) für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Freiburg. Ausserdem arbeitet sie als Journalistin und Schriftstellerin. 2015 erschien ihr zweiter Erzählband «Blaue Stunden. Kleine Quadratur der Liebe» im Offizin-Verlag, Zürich. .

]]>
/alma-georges/articles/2016/ich-empfinde-eine-gewisse-zaertlichkeit-fuer-die-andersartigkeit/feed 0