Gender – Alma & Georges /alma-georges Le magazine web de l'Université de Fribourg Mon, 05 May 2025 11:19:50 +0000 fr-FR hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.3.5 Mehr als zwei Kategorien – Was wir über Geschlecht neu lernen müssen /alma-georges/articles/2025/mehr-als-zwei-kategorien-was-wir-ueber-geschlecht-neu-lernen-muessen /alma-georges/articles/2025/mehr-als-zwei-kategorien-was-wir-ueber-geschlecht-neu-lernen-muessen#respond Wed, 16 Apr 2025 11:12:34 +0000 /alma-georges?p=22230 Viele Menschen wachsen mit dem Glauben auf, es gäbe nur zwei biologische Geschlechter. Doch die Forschung von Prof. Anna Lauber-Biason zeigt: Die Realität ist vielschichtiger. In diesem Audio-Beitrag erzählt sie unter anderem, wie die Wissenschaft dazu beitragen kann, Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung besser zu verstehen – und zu respektieren.

Zum Podcast:

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Gynäkologie – Warum unser Gesundheitssystem divers denken muss /alma-georges/articles/2025/gynaekologie-warum-unser-gesundheitssystem-divers-denken-muss /alma-georges/articles/2025/gynaekologie-warum-unser-gesundheitssystem-divers-denken-muss#respond Fri, 07 Feb 2025 12:08:26 +0000 /alma-georges?p=21969 Gynäkologische Praxen sind meist nur auf Frauen ausgerichtet – doch auch trans Männer und nicht-binäre Menschen brauchen diese medizinische Versorgung. Nina Schuler zeigt in ihrer Forschung, wie unser Gesundheitssystem diese Menschen oft ausschliesst und welche einfachen Massnahmen helfen könnten, das zu ändern. Für ihre Masterarbeit hat Schuler am Dies Academicus den Genderpreis erhalten.

Was hat Sie dazu motiviert, dieses Thema für Ihre Masterarbeit zu wählen? Gab es einen persönlichen oder gesellschaftlichen Anstoss?
Für mich war von Anfang an klar, dass ich mich einem Thema widmen möchte, welches mich nicht nur intellektuell fordert, sondern auch emotional berührt. Ein Thema, dass mir am Herzen liegt und mit dem ich auch etwas in der Gesellschaft auslösen kann. Geschlechterbasierte Diskriminierung ist leider immer noch Alltag in der Medizin. Umso extremer ist dies sichtbar, wenn Personen nicht den gesellschaftlichen Normen von Frau und Mann entsprechen. Trans Personen werden in der Gynäkologie noch immer stigmatisiert und oft übersehen – sei es durch einen Mangel an spezialisierten Fachärzt_innen oder durch die fehlende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihren spezifischen Bedürfnissen. Mit meiner Forschung möchte ich dazu beitragen, dieses Tabu zu brechen, Sichtbarkeit zu schaffen und langfristig eine sensiblere, inklusivere Versorgung zu fördern.

Sie sprechen in Ihrer Arbeit über das binäre und cis-normative System im Gesundheitswesen. Was ist das?
Unser Gesundheitssystem in der Schweiz ist darauf ausgelegt, Menschen als entweder männlich oder weiblich einzuordnen. Das zeigt sich besonders in der Gynäkologie, die ausschliesslich für Frauen gedacht ist. Nicht-binäre Personen oder trans Männer müssen sich diesem System anpassen, um eine Behandlung zu bekommen. Oft bedeutet das, dass sie sich rechtfertigen müssen, damit die Krankenkasse beispielsweise die Kosten übernimmt. In dem aktuellen binären Versicherungssystem existieren nämlich noch immer keine Vorlagen, die es erlauben, eine gynäkologische Behandlung bei einem Mann abzurechnen.

Der Begriff cis-normativ bedeutet, dass es als selbstverständlich angesehen wird, dass alle Menschen sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde (also cisgeschlechtlich sind). Ein Beispiel für cis-normative Strukturen sind Formulare, die nur die Optionen «männlich» und«weiblich» anbieten, oder die Annahme, dass alle Frauen einen Uterus haben und alle Männer nicht. Personen, die nicht diesen gesellschaftlichen Vorstellungen von Mann und Frau entsprechen, werden systematisch ausgeschlossen und benachteiligt.

Wie sieht die Diskriminierung von trans Menschen bei der gynäkologischen Versorgung konkret aus? Haben Sie ein paar Beispiele?
Die Diskriminierung von trans Personen findet auf unterschiedlichsten Ebenen statt und betrifft zahlreiche Bereiche der medizinischen Versorgung. Sie beginnt schon vor der eigentlichen Konsultation. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein trans Mann (also eine Person, welche bei Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet bekommen hat, sich aber als Mann identifiziert und von der Gesellschaft auch so gelesen wird). Sie haben weibliche Genitalien, nehmen jedoch männliche Hormone. Braucht es also noch gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen? Auf der pink gestalteten Homepage der FRAUEN-Klinik gibt es nur Infos zu Vorsorgeuntersuchungen bei cis Frauen. Am Telefon müssen Sie sich erklären und rechtfertigen, wieso Sie als Mann einen Termin in der FRAUEN-Klinik wollen. Zusammen mit vier schwangeren Frauen sitzen Sie dann im ebenfalls rosa gestalteten Wartezimmer. An den Wänden hängen Poster von Weiblichkeit und Kinderwunsch. Die Urinprobe geben Sie auf dem Frauen-WC ab, bevor sie mit FRAU Müller aufgerufen werden und ins Konsultationszimmer gebracht werden. Der Arzt hat scheinbar noch nie mit einer trans Person gearbeitet und fragt Sie deshalb in einer übergriffigen Art und Weise über Ihren «exotischen» Zustand aus. Sie fühlen sich bei dieser Befragung nackter als kurz darauf auf dem Gynäkologiestuhl. Während der Untersuchung plagen Sie enorme Schmerzen und negative Gefühle, auf die nicht eingegangen werden. Mit einem mulmigen Gefühl gehen Sie aus der Praxis, Sie wissen nicht, ob Ihre Versicherung die Untersuchung zahlt, da Sie dort als Mann angemeldet sind.

Welche Rolle spielt die Ausbildung von medizinischem Fachpersonal in der Verbesserung der Versorgung von trans Menschen? Gibt es bereits positive Ansätze?
In diesem Bereich ist noch sehr viel zu tun. Ein fundiertes Fachwissen ist eine wichtige Grundlage für jede Behandlung. Oft ist es gar nicht so einfach, an dieses Fachwissen zu gelangen, da der Fokus in der Forschung aber auch in der Aus- und Weiterbildung von Ärzt_innen anders gesetzt wird. Umso wichtiger ist es also, dass man selbst Initiative und ein gewisses Engagement zeigt, sich fehlendes Wissen anzueignen. Dafür gibt es erfreulicherweise auch schon viele gute Angebote. An der Unifr hatten wir beispielsweise mehrmals Kurse zu diesem Thema und es wurden trans Personen für Gespräche eingeladen. Ausserdem gibt es zahlreiche Events und Kurse, die von diversen Organisationen und Vereine wie TGNS Schweiz durchgeführt werden. Ich glaube, es lohnt sich, mutig zu sein und seinen Horizont zu erweitern sowie mit den Menschen in Kontakt zu treten.

Inwiefern hat die Arbeit an diesem Thema Ihre eigene Perspektive auf Geschlechtsidentität und medizinische Versorgung verändert?
Ich glaube ich sehe die Welt nun mehr in Spektren und nicht mehr in Kategorien. Als Ärztin ist man sich daran gewöhnt, alles in gesund oder krank einzuteilen, in normal oder abnormal. Davon probiere ich mich immer mehr zu distanzieren. Und ich habe gemerkt, dass diese Denkweise auch sehr viele Vorteile für cis Menschen bringt. Es spielt weniger Wertung mit und die Leute fühlen sich mehr gesehen und angenommen.

Sie haben im Rahmen des Dies Academicus 2024 den Genderpreis erhalten. Welche Pläne haben Sie für die Verwendung des Preisgeldes?
Aktuell schreibe ich gerade meine Doktorarbeit in der Medizin, zum gleichen Thema. Das Preisgeld kann ich dort gut gebrauchen. Es wird also direkt wieder in neue Forschung investiert, die gegen geschlechtsbedingte Diskriminierung im Gesundheitswesen vorgehen soll.

Zum Schluss: Welche praktischen Empfehlungen könnten gynäkologische Praxen sofort umsetzen, um trans/nicht-binäre Menschen besser zu unterstützen?
Als erstes sollte einfach ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass trans Personen zum Klientel der Gynäkologie gehören und nicht ausgeschlossen werden dürfen. Dafür lohnt es sich, seine eigenen Vorstellungen von Mann und Frau zu reflektieren. Welche – vielleicht auch unbewusste – Vorurteile hat man in diesem Bereich und wo fehlt es noch an Wissen? Kleine Veränderungen können schon viel bewirken, sei es geschlechtsneutrale Toiletten oder Infobroschüren, die sich nicht ausschliesslich an cis hetero Frauen mit Kinderwunsch richten. Eine inklusivere Auswahl an Pronomen bei Anmeldeformularen oder eine geschlechtsneutralere Gestaltung der Praxis oder Homepage kann ebenfalls helfen. Besonders wichtig finde ich dabei immer, dass man nicht vor dem Thema zurückschreckt. Trans Personen sind keine exotischen Wesen, welche auf eine Spezialbehandlung angewiesen sind und in Watte gepackt werden müssen. Was sie wirklich brauchen, das findet man am einfachsten heraus, wenn man mit diesen Menschen direkt in Kontakt tritt, sei es an einem Event, einer Fortbildung oder im Privatem. Natürlich immer in einem respektvollen und wohlwollendem Rahmen.

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«Was bringt es, zu wissen, ob ein Mensch als Mann oder als Frau geboren wurde?» /alma-georges/articles/2021/was-bringt-es-zu-wissen-ob-ein-mensch-als-mann-oder-als-frau-geboren-wurde /alma-georges/articles/2021/was-bringt-es-zu-wissen-ob-ein-mensch-als-mann-oder-als-frau-geboren-wurde#respond Mon, 12 Apr 2021 09:04:25 +0000 /alma-georges?p=13534 Recht ist nicht immer gerecht. Nula Frei von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Unifr und Nils Kapferer, Doktorand am Europainstitut der Unibas, erklären im Interview, warum sie in ihrem FRI-Lesekreis einen queerfeministischen Ansatz versuchen. 

Wer steckt hinter dem FRI-Lesekreis und für wen wurde er gegründet?
Nils Kapferer: Das FRI – Schweizerisches Institut für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law – geht auf die Initiative von feministischen Juristinnen in den 1990er Jahren zurück und wird aktuell von einer vielfältig zusammengsetzten Gruppe von Jurist_innen getragen.

Im Jahr 2019 haben zwei Mitglieder des FRI, Sofia Balzaretti von der Unifr und ich von der Uni Basel beschlossen, Möglichkeiten des Austausches rund um Texte – juristische und/oder soziologische anzubieten, die eine Reflexion über das Recht aus einer Gender-Perspektive ermöglichen. Da Sofia Balzaretti für ihre Dissertation ins Ausland ging, hat sich Nula Frei bereit erklärt, zusammen mit mir diese Treffen weiterzuführen.

Der FRI-Lesekreis ist interdisziplinär und offen für alle, die aus einer feministischen und queeren Perspektive darüber nachdenken wollen, was das Recht in unserer Gesellschaft ist und tut. Er ist in erster Linie für Jus-Studierende gedacht, aber auch Studierende anderer Fachrichtungen sind herzlich willkommen. Der FRI-Lesekreis ist auch offen für Menschen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema befassen oder einfach nur diese Momente des Austauschs nutzen wollen.

Nils Kapferer, Unibas

Wonach fragt eine feministische und queere Rechtskritik?
Nils Kapferer: Das Recht, nicht nur in seiner Anwendung, sondern auch im Studium, ist – wie viele Bereiche der Gesellschaft – von Menschen produziert, gedacht und analysiert worden, die sich meist als männlich, heterosexuell und cisgender identifizieren, aus wohlhabendem Hause und, wie so häufig in der Schweiz, weiss sind. Diese Realität hat über Jahrhunderte geprägt, was das Recht ist und wie es gedacht wird. Es ist notwendig, andere Ansätze – in unserem Fall feministische und queere – zu entwickeln, um darüber nachzudenken, was das Recht ist. Auch wenn sich das langsam ändert, ist ein feministischer Ansatz an den Juristischen Fakultäten der Schweiz immer noch schlecht vertreten. Von einem queeren Ansatz ganz zu schweigen! Den FRI-Lesekreis gibt es mit dem Ziel, einen Diskussionsraum anzubieten, der es uns ermöglicht, diesen feministischen und queeren Ansatz bekannt zu machen und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus möchte der FRI-Lesekreis auch eine interdisziplinäre Perspektive entwickeln, insbesondere durch die Lektüre von Texten aus der Rechtssoziologie.

Was sind die konkreten Forderungen oder Ziele einer solchen Rechtskritik?
Nils Kapferer: Alle Rechtsgebiete sind für einen feministischen und queeren Ansatz geeignet. Wenn man sich mit der Gesetzgebung auseinandersetzt, ist es immer notwendig, den Kontext zu berücksichtigen, in dem sie geschrieben wurde. Wer hat das Gesetz erlassen? Für wen wurde es erlassen? Wer wird davon profitieren? Manchmal mag ein Gesetz neutral erscheinen, weil es sich an die gesamte Bevölkerung richtet, aber seine konkreten Auswirkungen betreffen nicht alle Menschen in gleicher Weise.

Zum Beispiel kann ein Gesetz, das darauf abzielt, die Ladenöffnungszeiten zu verlängern, neutral erscheinen. Aber in Wirklichkeit, wenn wir uns den Text und seine Folgen etwas genauer ansehen, wird klar, dass es Frauen sind, die von dieser Erweiterung am meisten betroffen sind. Tatsächlich sind 66% (2018, BFS) der im Detailhandel tätigen Personen Frauen. Ausserdem übernehmen Frauen in Haushalten mit Kindern immer noch 69 % der Hausarbeit (2018, BFS). Zum Schluss sind es in 84 % der Fälle Frauen, die eine Familie mit nur einem Elternteil führen (2017, BFS). Eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten trifft daher vor allem Frauen, die in Zeiten, in denen keine Kinderbetreuungseinrichtungen geöffnet sind, Lösungen finden müssen. Um auf diese Weise über das Recht zu denken, ist es notwendig, die Gender-Brille aufzusetzen, aber auch in der Lage zu sein, «ausserhalb des Rechts» zu denken, also mit Hilfe anderer Disziplinen wie Soziologie, Geschichte, Psychologie, etc.

Nula Frei, Unifr

In welchen Bereichen des Rechts sind die grössten Missstände festzustellen?
Nula Frei: Ich sehe die feministische und queere Rechtskritik als ein Analysetool, ein bestimmter Blick auf die Welt, der Machtstrukturen identifiziert und uns somit ein besseres Verständnis des Rechts erlaubt. Insofern lassen sich sämtliche Bereiche des Rechts queer-feministisch analysieren, und hier liegen viele Bereiche noch brach, etwa im besonderen Verwaltungsrecht. Die brennendsten Fragen stellen sich derzeit sicherlich in Bezug auf den Umgang des Rechts mit geschlechtsspezifischer oder sexualisierter Gewalt, dann die fehlende Anerkennung von Care-Arbeit und der ganze rechtliche Rattenschwanz, der daraus folgt (z.B. im Sozialversicherungs- oder im Steuerrecht) sowie die immer noch existierenden, aber mit den derzeitigen rechtlichen Mitteln kaum bekämpfbare Diskriminierung am Arbeitsplatz. Schliesslich auch die rechtlich immer noch stark verankerte Zweigeschlechtlichkeit bzw. Binarität.

In Deutschland gibt es seit Ende 2018 die sogenannte «Dritte Option». Beim Eintrag ins Personenstandsregister können Menschen zwischen «männlich», «weiblich und «divers» wählen, oder gar keine Angabe machen. Wie finden Sie das und wo stehen wir aktuell in der Schweiz?
Nils Kapferer: In der Schweiz hat der Bundesrat eine Änderung des Zivilgesetzbuches vorgeschlagen, der sich mit dem Personenstand befasst, um die administrative Transition von Personen zu erleichtern, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde – das ist aber noch nicht in Kraft. Der Bundesrat hat in der Vernehmlassung betont, dass diese Änderung die Geschlechterbinarität nicht in Frage stellt und dass er diese Frage in seiner Antwort auf zwei 2017 eingereichte Postulate, die sich speziell mit dieser Frage befassen, angehen will.

Die Notwendigkeit der Angabe einer Geschlechtsidentität im Personenstand wirft viele Fragen auf: Was bringt es, zu wissen, ob ein Mensch als Mann oder als Frau geboren wurde? Ist es nicht so, dass die Festlegung des Geschlechts eines Menschen bei der Geburt bereits der Beginn einer spezifischen Sozialisation und von zahlreichen Diskriminierungen ist?

Darüber hinaus ergeben sich aus diesen Überlegungen auch pragmatische Bedenken, insbesondere in Bezug auf die Erstellung von Statistiken. In der Tat befürchten einige, dass es ohne Statistiken nicht mehr möglich sein wird, die Ungleichheiten aufzuzeigen, unter denen z. B. Frauen leiden, und dass es daher nicht mehr möglich sein wird, öffentliche Politik in verschiedenen Bereichen wie der Gleichstellung der Geschlechter zu betreiben.

Auf der einen Seite haben wir das Recht auf Gleichheit, auf der anderen Forderungen nach Berücksichtigung und Anerkennung von Differenzen – Ein Paradoxon?
Nula Frei: Diese beiden vermeintlich widersprüchlichen Forderungen haben die Gerichte schon vielfach beschäftigt, etwa wenn es um die Zulässigkeit von «Frauenquoten» ging oder um das Recht muslimischer Frauen, eine Vollverschleierung (Niqab) zu tragen. Zur Auflösung dieser Widersprüche führen Gerichte in der Regel eine Güterabwägung zwischen den sich widersprechenden Interessen durch, wobei man sagen kann, dass sie in der Tendenz dem Recht auf Gleichheit einen höheren Stellenwert einräumen als der Anerkennung von Differenz.

Wie sinnvoll ist eine genderneutrale Sprache im Recht?
Nula Frei: Die Rechtssprache und die gendergerechte Sprache haben eines gemeinsam: Sie streben nach sprachlicher Präzision. Insofern gilt auch im Recht: Betrifft eine Regelung nur Männer? Dann (und nur dann) sollte auch das Maskulinum verwendet werden. Betrifft sie alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht? Dann sollte eine neutrale Formulierung gefunden werden. Offizielle Rechtstexte in der Schweiz arbeiten zumeist mit der Beidnennung, z.B. «Bürgerinnen und Bürger». Hier ist die Schweiz fortschrittlicher als viele andere Länder, die in Rechtstexten immer noch das generische Maskulinum verwenden; die Beidnennung wird uns aber vor Herausforderungen stellen, sollte die «Dritte Option» dereinst in der Schweiz eingeführt werden.

Wie können Studierende oder die Gesellschaft allgemein für solche Themen sensibilisiert werden?
Nula Frei: Generell wird derzeit in der Öffentlichkeit wieder mehr über Geschlechter-Themen gesprochen als noch vor fünf Jahren, allerdings sind die Diskussionen leider häufig sehr polarisiert. Schön wäre es, wenn auch im Jus-Studium die Geschlechterdimensionen des Rechts häufiger angesprochen würden, denn wie gesagt gibt es kein einziges Rechtsgebiet, das nicht auch eine Geschlechterkomponente hat, und einmal eine feministische und queere Perspektive einzunehmen eröffnet spannende analytische Einsichten.

Glossar

Gender: Damit gemeint ist die soziale Dimension des Geschlechts. Gender spiegelt Pflichten, Eigenschaften und Erwartungen einer Gesellschaft wider.
Queerfeminismus/-feminismen:
Feministische Ansätze, der sich auf feministische Theorie und Queer-Theorie bzw. den Queer ÌÇÐÄVolg beziehen. 
cis/cisgender/cis Person: Person, bei der die Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. 
trans/transgender:
Oberbegriff für alle Menschen, deren Geschlechtsidentität (teilweise) nicht dem ihnen körperlich zugeordneten Geschlecht entspricht.

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  • von Genderlaw, Schweizerisches Institut für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law
  • mit den Veranstaltungen des FRI-Lesekreises
  • von Nula Frei
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